Das Therapieverfahren zur Behandlung von Störungen, Beschwerden und Krankheitssymptomen, die durch unbewusste, innerseelische Konflikte gekennzeichnet sind, nennt man analytische Psychotherapie. Bei diesem Behandlungsverfahren werden heute die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Behandlungserfahrungen aus ca. 120 Jahren angewandt. Um erfolgreich analytische Psychotherapie anwenden zu können, muss die Persönlichkeit des Patienten/der Patientin eine ausreichende psychische Restgesundheit aufweisen, um sich dem nachhaltigen, aber langwierigen und kleinschrittigen Weg einer analytischen Psychotherapie zu unterziehen. Die krankmachenden unbewussten Konflikte äußern sich dabei in der Regel in allen Lebensbereichen, und müssen nach und nach erkannt und bewusstgemacht werden, um eine Änderung der Wahrnehmung, des Erlebens und des Handelns nach und nach zu ermöglichen.
Um diese Behandlungsform zu ermöglichen, müssen Behandlungstermine regelmäßig mehrmals (mindestens 2x) pro Woche wahrgenommen werden können. In diesem dichten inneren Kontakt mit den Gedanken, Fantasien und dem berichteten Erleben von Alltäglichem (all dem, was das Menschliche Dasein so ausmacht) im Gespräch mit der Psychotherapeutin kann eine schrittweise Nachreifung der Persönlichkeitsanteile stattfinden.
Aus individuellen Gegebenheiten in der eigenen Lebensgeschichte mussten sich diese Persönlichkeitsanteile früheren Anforderungen unterordnen, und konnten sich deshalb nicht optimal den eigenen Lebensmöglichkeiten innerhalb der realen Gegebenheiten anpassen. Durch die (ins Unbewusste) verdrängten Gefühle, Wahrnehmungen oder Vorstellungen aus den frühen Entwicklungsjahren bleibt die Persönlichkeitsentwicklung hinter den eigenen optimalen Möglichkeiten zurück. Es entsteht meist das diffuse Gefühl, das eigene Leben nicht „richtig“ zu leben. Die Krankheit mit all ihren Symptomen ist eigentlich eine sinnvolle Anpassung an ungünstige Umstände in der persönlichen Entwicklung, und schützen die kindliche Psyche. Im Erwachsenenalter ist dieser unbewusste Anpassungsschutz meistens zu starr und überflüssig, und behindert deshalb im alltäglichen Leben. Oft scheinen die lästigen Symptome laut und heftig daran zu erinnern, dass es mehr oder weniger tief verborgene Erlebensmöglichkeiten gibt, die unfreiwillig nicht gelebt werden können. Im Laufe eines Erwachsenenlebens treffen wir alle Entscheidungen, verabschieden uns von Möglichkeiten, und greifen andere auf. Erfolgt dies bewusst, können wir loslassen, trauern, lieben und genießen. Wir stehen zu uns. Und wir entwickeln im Idealfall ein tiefes Gefühl der eigenen Identität. Dieses, nicht besonders perfekte, menschliche Dasein – dies ist unser Leben – und es fühlt sich richtig an, auch wenn andere ihr Leben ganz anders leben. Wenn wir diese Entscheidungen unbewusst treffen, fühlen wir uns getrieben, und wiederholen die gleichen Muster wieder und wieder. Im weiteren Leben entwickeln sich zunehmend Unzufriedenheit, Neid und Unglück trotz eines Lebens, was äußerlich völlig in Ordnung zu sein scheint. Wir erleben dieses Leben dann nicht als unser Leben, können nicht genießen, oder verantwortlich Entscheidungen treffen. Wir können uns mit unserer Unvollkommenheit und unserem widersprüchlichen Menschsein nicht aussöhnen. Die Folge sind oft Verbitterung oder körperliche und/oder psychische Symptome. Es kommt oft zu einer Chronifizierung, weil Ängste, Schuldgefühle, Depressionen, Unsicherheiten oder körperliche Symptome sich immer breiter machen im eigenen Leben.
Dieser langfristig krankmachende Prozess aus Verdrängungen wird in einer analytischen Psychotherapie langsam aufgehoben. Dabei werden nur die unbewussten Konflikte bearbeitet, die krankheitsrelevant sind. Das Können und die Erfahrung eines Analytikers/einer Analytikerin findet Anwendung in diesem Prozess: das vermeintlich langweilige, peinliche oder alltägliche Berichten wird so verdaulich zurückgegeben, dass es den Selbsterkenntnisprozess fördert. Auch wenn einige Sitzungen mal durch Ängste, Scham- oder Schuldgefühle geprägt sind, so sollten die meisten eher von der Zuversicht geprägt sein, dass es stetig vorwärtsgeht (wenn auch oft zwei Schritte vor und einen zurück). Die Änderung der Persönlichkeit in Richtung der „eigentlichen Persönlichkeit“, die man nur selbst erspüren kann, setzt Energien frei, die bisher zur der Bewältigung des Lebens oder von äußeren Konflikten oder Krankheitssymptomen verbraucht wurden. Auch wenn es schwer ist, diese spezifische Therapieform zu beschreiben, so muss man nicht besonders intelligent sein, um erfolgreich eine analytische Psychotherapie zu absolvieren. Auch dieser Text muss dazu nicht verstanden werden. Man muss nur regelmäßig die Termine wahrnehmen, und genug Vorschussvertrauen aufbringen, um ehrlich die Gedanken, Gefühle, Fantasien und Träume in der eigenen Sprache zu berichten, die einem einfach so einfallen. Die Aufgabe des Analytikers/der Analytikerin ist es, dies alles verständlich und im richtigen Moment zurück zu geben, in dem man zu bestimmten Selbsterkenntnissen bereit ist.
Er/sie wird stets darauf achten, dass die Behandlung nicht länger dauert als erforderlich. Die „ehrliche Selbstunterredung“ wird so erlernt, dass sie später zur Erhaltung der erworbenen Gesundheit alleine bei Bedarf fortgesetzt werden kann. Der/die Psychotherapeut/in ist also nur ein „geliehener Lebensabschnittsgefährte“, der mit dem Ende der Behandlung überflüssig wird. Die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des Patienten/der Patientin ist oberstes ethisches Ziel des Analytikers/der Analytikerin. Dies ist wichtig beim Beginn der Behandlung zu wissen. Denn das ist oft der Moment, wo bereits alles allein unternommen wurde, und nun Hilfe „gebraucht“ wird. Die erste Behandlungsstunde dient schon wieder diesem Ziel der Verselbständigung in der Haltung des Psychotherapeuten gegenüber dem Patienten/der Patientin (und wird manchmal mit „Kälte“ und ungewohntem „Hängengelassen werden“ verwechselt). Ein/e Analytiker/-in hat keine Lösung schnell parat für ein glückliches Leben, gibt in der Regel keine Tipps oder Anweisungen. Die muss man sich in der langen Behandlung selbst für sich erarbeiten.
Wie bei allen wirksamen Behandlungsformen gibt es einige Risiken und Nebenwirkungen: Die ergeben sich aus dem eben Geschilderten. Es gibt schlecht gelaufene Psychoanalysen, bei denen sich diese Selbstständigkeit nicht einstellt. Aus diesem Grunde wird in den diversen Vorgesprächen ausreichend geprüft, ob die äußeren Voraussetzungen gegeben sind, und die gesunden Anteile der Psyche der Patientin, des Patienten ausreichen, um diesen Weg erfolgreich zu gehen. Nicht im Ermessen des Behandlers ist, ob sich im weiteren Leben des Patienten/der Patientin die äußeren Lebensumstände günstig fügen. Es können sich Beziehungen während einer analytischen Psychotherapie so verändern, dass sie auseinanderbrechen (dies ist jedoch nicht die Regel).
Noch ein Wort zu den Symptomen, die zur Aufnahme der Therapie führen: sie verschwinden meistens ganz unspektakulär, wenn der- oder diejenige stimmiger im eigenen Leben verankert ist. Oft wird es erst Monate später erfreut registriert. Natürlich können Symptome immer wieder kommen und gehen, sie werden aber immer besser verstanden, und weniger willkürlich aus dem Nichts kommend erlebt. Ungünstiger Weise (für einen langanhaltenden Therapieeffekt) verschwinden die Symptome früher als die nötige Persönlichkeitsänderung sicher erlebt wird. Es gehört am Ende der Therapie noch ein wenig Durchhaltevermögen dazu, die Behandlung noch etwas länger fortzusetzen, um eine ausreichende Festigung des Behandlungsergebnisses zu erreichen. Eine durchschnittliche analytische Psychotherapie umfasst bei mir ca. 240 (160 – 300) Sitzungen in 2-3 Jahren. Einzelne Sitzungen zur weiteren Festigung im Anschluss sind als Rezidivprophylaxe durchaus möglich und sinnvoll.